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Hofprediger waren als persönliche Seelsorger fürstlicher Familien dazu verpflichtet, beim Tod eines Familienmitglieds den Hinterbliebenen Trost zu spenden und für die Verstorbenen ein angemessenes religiöses Begräbnis auszurichten. Zum Gedenken der Toten war das Verfassen von Leichenpredigten an protestantischen Herrscherhöfen des 16. bis 18. Jahrhunderts gängige Praxis. Diese Leichenpredigten zählt man heute zur literarischen Gattung der Funeraldrucke. Sie waren bedeutend für die Herrschermemoria und fanden über den dynastisch-familiären Kreis hinaus als Erbauungsliteratur weite Verbreitung.
Im Zentrum der hier vorgestellten Quellentexte stehen die von dem Oberhofprediger Brandanus Daetrius (1607–1688) verfassten Leichenpredigten auf Herzog August den Jüngeren (1579-1666), dessen dritte Ehefrau Sophia-Elisabeth von Mecklenburg-Güstrow (1613–1676) sowie seinen Enkel August Friedrich (1657–1676).
Anhand dieser drei Leichenpredigten soll Daetrius` Darstellung der Verstorbenen näher betrachtet werden. Der Fokus der Analyse liegt auf den theologischen Teilen der jeweiligen Predigten. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern Daetrius die biblischen Metaphern in Beziehung zu den Verstorbenen setzte und welche Intentionen er damit verfolgte.
Die Praxis der gedruckten Leichenpredigten entwickelte sich im Zuge der Reformation und verlor ab der Mitte des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. Zu den ersten und bekanntesten Leichenpredigten zählen jene, die Martin Luther (1483–1546) auf die sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen (1463—1525) und Johann den Beständigen (1468–1532) hielt. Ausgehend von Mitteldeutschland, dem Kerngebiet der Reformation, verbreitete sich die Gattung in den oberdeutschen Reichsstädten. In Norddeutschland war sie hingegen weit weniger üblich. Vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg, insbesondere zwischen 1600 und 1619 sowie zwischen 1650 und 1680 erlebte die Gattung ihre Blütezeit.
Große Bedeutung besaßen gedruckte Leichenpredigten für den Adel und die bürgerliche Oberschicht des lutherischen Protestantismus. Den Hinterbliebenen sollten sie Trost, Hoffnung und Stärkung des Glaubens vermitteln, als Erbauungsschrift gelebte Vorbilder liefern und zur Vorbereitung auf den eigenen Tod dienen. Reformierte Christen und Katholiken verfassten zwar auch Leichenpredigten, doch gewannen sie in beiden Konfessionen nicht die gleiche Bedeutung wie im Luthertum.
Sowohl die äußere Form als auch der innere Aufbau der Textgattung unterlagen wichtigen Veränderungen. Die anfänglich schlichte Gestaltung wurde durch opulente und kostspielige Ausführungen des barocken Zeitalters abgelöst. Dem entspricht eine erkennbare soziale Exklusivität der Gattung. Die ersten Leichenpredigten enthielten noch keine biographischen Informationen über die Verstorbenen. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts gewannen die teilweise immer ausführlicheren Viten zunehmend an Bedeutung. Anfangs wurden viele dieser Predigten in späthumanistischem Neulatein verfasst, später setzte sich die deutsche Sprache durch, so dass eine breitere Leserschaft erreicht werden konnte.
Der gattungsspezifische Aufbau kann mit Hilfe des von Rudolf Lenz und Maria Fürstenwald für die Leichenpredigten des 17. Jahrhunderts erstellten texttheoretischen Rasters beschrieben werden. Dieses gliedert die Predigt in Titelblatt, Widmung, Predigttext, Biographie, Abdankung, Standrede, Aufzählung der Teilnehmer, Zeugnisse aller Art, Trauerkompositionen, Epicedien (Trauergedichte) sowie bildliche Darstellungen. Vielfach weichen die Leichenpredigten jedoch von diesem Schema ab – einige Elemente werden ausgelassen, andere wiederum hinzugenommen.
Leichenpredigten sind in den vergangenen Jahren stärker ins Zentrum der historischen Forschung gerückt. Sie werden dem personalen Gelegenheitsschrifttum und den Funeraldrucken zugeordnet. Gleichwohl sind sie nicht nur für Literaturwissenschaftler und Historiker von Interesse, sondern werden zunehmend auch für Fragen der Medizin-, Pharmazie-, Musik-, Kunst- und Kirchengeschichte herangezogen. Das unterstreicht ihren Wert als multi- und interdisziplinäre Quelle, anhand derer sich vielfältige Aspekte der frühneuzeitlichen Lebenswelten erschließen lassen.
Hinsichtlich der Quellenkritik gilt es zu beachten, dass sich hinter personenbezogenen Aussagen die jeweiligen Prediger mit ihren rhetorischen Fähigkeiten und Intentionen verbergen. Als akademisch ausgebildete Kleriker sahen sie sich in der Rolle des Wächters und Mahners, die ihren Mitmenschen das Wort Gottes vermittelten und auf deren Glauben und Moral zu achten hatten. Gerade aufgrund dieses Selbstverständnisses kam ihnen in besonderem Maße die Aufgabe zu, das Leben der jeweiligen Verstorbenen zu bewerten – dabei ging es in erster Linie darum, einen gottgefälligen Lebenswandel hervorzuheben, ohne dabei moralisch fragwürdige Seiten der Person und ihrer Lebensführung zu verschweigen. Nicht zuletzt deshalb wiederholen sich bestimmte Themenfelder und Metaphern. Generell besitzt die Gattung der Leichenpredigten einen topischen Charakter.
Die Hofprediger standen hierbei vor einer besonderen Herausforderung. Zum einen sollten sie den verstorbenen Regenten in der Leichenpredigt als Idealbild eines Herrschers präsentieren und dessen Handeln als besonders tugendhaft charakterisieren. Zum anderen musste die verstorbene Person darin noch in ihrer Vielschichtigkeit und Ambivalenz erkennbar bleiben, um sinnstiftend wirken zu können. Fürstliche Leichenpredigten hatten zum Teil eine hohe Auflage und wurden nicht nur in der eigenen Residenz verteilt, sondern auch an andere Höfe verschickt. Daher unterlagen sie in besonderem Maße der höfischen Zensur und wurden zum Teil von Familienmitgliedern eigens überarbeitet. Viele Verstorbene gaben aber bereits zu Lebzeiten einen eigenen Text oder die auszulegende Bibelstelle vor, an die sich der Prediger zu halten hatte. Ausufernde Kritik am Verstorbenen konnte somit vorzeitig unterbunden werden. Die am Grab gehaltene Predigt entsprach oft nicht der endgültigen Druckfassung, die entweder vom Verstorbenen selbst testamentarisch bestimmt worden war oder seitens der Familienangehörigen in Auftrag gegeben wurde, um dem Toten neben dem Grabmal gleichsam ein weiteres Denkmal zu setzen.
Da in den Leichenpredigten tugendhafte Züge einer Person betont werden sollten, wurde die Gattung von Zeitgenossen kontrovers diskutiert und oft als „Lügenpredigt“ bezeichnet. Den Geistlichen wurde vorgeworfen, nichts anderes als Lob für die Verstorbenen zu predigen und jegliche Verfehlungen auszulassen. Eine genauere Beschäftigung mit Texten dieser Gattung zeigt jedoch, dass diese Kritik überzogen ist.